Geleitwort   (1935)

Das Jahr 1935 wird in der Welt in vieler Beziehung ein Jahr der Entscheidungen und der Klarstellungen sein. Ich habe mich deshalb entschlossen, dieser Neujahrsausgabe von Minerva Radio einige Worte beizufügen, um ihnen ein klares Bild von mir und meiner Firma zu geben. Mein Unternehmen besteht heute über fünfzehn Jahre. Fünfzehn Jahre vor dem Kriege waren keine Zeit, um darüber Worte zu verlieren. Fünfzehn Jahre nach dem Kriege, in einer Zeit schwerster politischer und wirtschaftlicher Wirren, geben das Recht zu einem kleinen Rückblick.

Ich wurde im Jahre 1890 zu Heidelberg geboren und entstamme einer alten Bürgerfamilie, die seit Jahrhunderten am Neckar ansässig war. Ich verlor meine Eltern in frühester Jugend und war schon mit siebzehn Jahren ganz auf mich allein angewiesen. Von der Freizügigkeit vor dem Kriege machte ich sehr ausgiebig gebrauch, war in vielen Städten Deutschlands und in London tätig und lernte auf weiten Reisen durch Europa und Rußland ein gutes Stück Welt kennen. Mit 21 Jahren war ich bereits Direktor eines Elektrokonzerns im Rheinlande und kam 1917 in leitender Position zu einem großen Elektrounternehmen nach Österreich.

Ausgerüstet mit allen Erfahrungen der Vorkriegspraxis und geschult in allen kaufmännischen Disziplinen begann ich im Jahre 1919 meine Selbständigkeit mit der Gründung eines Elektrounternehmens. Ich mußte aber nur zu bald erkennen, daß mit den ungeheuren Umwälzungen nach dem Kriege auch alle wirtschaftlichen Erkenntnisse und goldenen Regeln, die man jahrzehntelang gepredigt hatte, in nichts zerfielen und daß jeder Tag und jede Stunde den Unternehmer vor neue Entschließungen und Überraschungen stellte, für die es keine Regel und kein Vorbild gab.

Das war die Zeit, in der ich meine eigenen wirtschaftlichen Erkenntnisse sammelte und formulierte. Diese, oft bitter erlebten Erfahrungen waren die Grundlage der heutigen Größe meines Unternehmens, aus ihnen ist der ganze Aufbau, die Arbeitsweise und die Organisation meiner Firma hervorgegangen.

Als ich dann 1924 den entscheidenden Schritt von der Elektrotechnik zum Radio machte, mein Elektrounternehmen zum Teil mit Verlust verkaufte und mich hundert Prozent auf Radio umstellte, war dies ein mutiges Bekenntnis zur Zukunft der Radiobewegung. Überall begegnete ich nur Skepsis – ich fühlte jedoch nach Tagen der inneren Unruhe, daß ich vor der Entscheidung meines Lebens stehe, und ging ohne nach links und rechts zu schauen meinen Weg. Solche Entscheidungen hat jeder Mensch einmal in seinem Leben – Halbheiten oder gar Entschlußlosigkeit führen unweigerlich hinab.

Je mehr man mir mit Zweifel begegnete, umso zäher verbiß ich mich in meine Idee und arbeitete mit Feuereifer für die damals noch in den Kinderschuhen steckende Radiobewegung. Die Entwicklung der Minervafabrikate vom Radiola–Detektorapparat, dem Pfeil–Kondensator, dem Radiolavox–Lautsprecher und dem Royce–Micro–Dial über den ersten Einknopf–Panzerneutrodyne "Solodyne", den ersten Volksempfänger "DeKaWe" und den ersten Kleinsuper "Micron Super" zu den letzten Modellen der "C"–Serie ist ja allen, die irgendwie mit der Radiobewegung zu tun hatten, genügend bekannt.

Von allem Anfang an stellte ich mich auf die Seite der legitimierten Händlerschaft und mein Leitmotiv war, stets nur durch die Händler zu verkaufen — das hat meinem Unternehmen viel Vertrauen erworben.

Ich pflegte auch von Anbeginn den Export und lieferte schon 1926 große Mengen von Radiobestandteilen nach fast allen Ländern Europas. Heute ist auch der Übersee-Export zu einem wichtigen Faktor meiner Firma geworden — Minervaapparate finden Sie bis Südafrika, Südamerika, Indien und China.

Der Ausbau des Unternehmens schien eine Zeitlang an einer Schwierigkeit zu scheitern. Ich war gewohnt, alle Kunden persönlich zu gewinnen und daher fast ständig auf weiten Reisen, so daß in meiner Abwesenheit ein Stellvertreter meiner Person unerläßlich war. Es schien aber schwer, einen Menschen zu finden, der verantwortungsfreudig und entschlußkräftig genug für diesen Posten war und zu dem ich volles Vertrauen finden konnte. In dieser Zeit hat meine Frau Elisabeth Wohleber, die früher nie im Geschäftsleben gestanden war, den Schritt gewagt und sich in mein Unternehmen eingearbeitet. Durch ihren klaren Blick, ihr richtiges Gefühl für für alle im Leben vorkommende Situationen und ihre sicheren Dispositionen hat sie es mir ermöglicht, meine ganze Kraft für den Ausbau des Unternehmens einzusetzen.

Heute gibt Minerva im eigenen Werk und in den angegliederten Werkstätten in der Saison über fünfhundert Beamten und Arbeitern Verdienst und zählt mit einer Produktion von weit über tausend Apparate pro Woche zu den größten Radiofabriken Österreichs. Bei solchen Aufstieg ist man gerne geneigt, von "Glück" zu sprechen. Wer aber, wie ich, etwas philosophisch veranlagt und gewohnt ist, über den Dingen zu stehen, der kann nicht an das Wort "Glück" glauben. Es gibt kein Glück auf Dauer ohne schwere Arbeit; jeder Tag, der kommt, muß für die Firma neu erobert werden. Ich suche selbst durch äußerste Pflichterfüllung meinen  ganzen Personal ein Beispiel zu sein und prüfe jeden Tag meine eigene Leistung. Es liegt genug Sorge und Verantwortung auf mir — es hängt in diesen schweren Zeiten das Leben meiner Angestellten und Arbeiter und deren Angehörigen — zusammen über fünfzehnhundert Menschen — vom Geschick meines Unternehmens ab.

Der Umfang meiner Arbeit erlaubt mir heute nicht mehr meine Geschäftsfreunde, von denen viele schon über ein Jahrzehnt mit mir zusammenarbeiten und dadurch an dem Erfolg meiner Firma mitgearbeitet haben, persönlich zu besuchen. Ich drücke jedem einzelnen im Geiste die Hand und danke ihm für seine Mitarbeit und sein Vertrauen zu mir und damit zu Minerva.

Wir wollen alle hoffen, daß das neue Jahr uns bessere Zeiten entgegenführt und daß sich alle Dinge endlich zum Guten wenden, damit eine sichere Zukunft für uns blühe. Ruhe, Stabilität der Währung und Wiederkehr des Vertrauens von Staat zu Staat sollen die Grundpfeiler einer neuen besseren Zeit sein.

Ich schließe mit den besten Wünschen für Sie und ihrer Familie für ein gesundes glückliches Jahr 1935 und weitere gute Zusammenarbeit mit Minerva Radio.