Grundig Austria
Auszug aus dem Buch: Meidling - fünf Dörfer - ein Bezirk

 

Die als Tochter der Grundig AG in Fürth in Bayern gegründete "Grundig Austria Ges.m.b.H." in der Breitenfurter Straße 43-45 in Wien Meidling, wurde am 1. Juni 1977 vom deutschen Firmengründer Dr. h.c. Max Grundig eröffnet; sie gilt heute als eine der modernsten TV-Produktionsstätten Europas und zählt zu den wichtigsten Werken des Grundig-Konzerns.

Max Grundig kam am 7. Mai 1908 im Nürnberger Stadtteil Gostenhof, in der Denisstraße 3, als Sohn des Magazineurs Emil Grundig und seiner Frau Marie zur Welt. Die Familie, die bald auf sechs Personen angewachsen war, mußte mit dem geringen Verdienst des Vaters auskommen. Max Grundig über sich und sein Elternhaus:

"Ich habe mit nichts angefangen, ich stamme aus einer braven, einfachen Bürgerfamilie, die mir zwar viel Mut, Optimismus, eine gesunde Einstellung zum Leben und Freude an der Arbeit, aber keine Mark mitgegeben hat."

Als der Vater im 41. Lebensjahr 1920 starb, wurde die Not der Familie drückend. Die Mutter ging als Hilfsarbeiterin in die Fabrik und Max ging nach Abschluß der Pflichtschule in eine Lehre. 1922 begann er als kaufmännischer Lehrling bei der Installationsfirma Jean Hilpert in Nürnberg. Die Arbeit gefiel ihm, doch bald entdeckte er ein Talent an sich, das für sein künftiges Leben entscheidend sein sollte: Er interessierte sich intensiv für das gerade in Mode gekommene Radio und wurde fanatischer Radiobastler.

Als die Stadt Fürth ein neues Krankenhaus plante und Aufträge dafür nur an Fürther Firmen vergeben werden durften, kaufte die Firma Hilpert ein Installations- und Elektrogeschäft in Fürth und setzte den jungen Kaufmann Max Grundig als Filialleiter ein. Dies war der Beginn seiner erfolgreichen Karriere.

In der Zeit der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit eröffnete Max Grundig 1930 sein erstes eigenes Geschäft in Fürth, in der Sternstraße 4, mit dem Firmennamen "Radio Vertrieb Fürth".

Da jedoch in der wirtschaftlich schwierigen Zeit der Radioverkauf nur wenig einträglich war, verlegte sich Grundig vor allem auf den Verkauf von Batterien, Glühlampen, Bastlerzubehör und Reparaturen. Als sich die wirtschaftliche Situation allmählich verbesserte, erwarb Grundig ein größeres Geschäft in der Schwabacher Straße 1, wo er auch eine Reparaturwerkstätte einrichtete. Neben den vom Anfang an mitarbeitenden Familienmitgliedern wurden auch einige Arbeiter eingestellt. Zu Kriegsausbruch im Jahr 1939 ging der Umsatz zunächst zurück, doch mit Fortdauer des Krieges wurde die Wehrmacht der beste Kunde.

Im April 1945 kehrte Grundig aus dem Dorf Vach, wohin der Betrieb während des Krieges verlagert worden war, in die Schwabacher Straße zurück und begann wie 1930 vorerst mit Reparaturarbeiten; doch bald plante er wieder für die Zukunft: Neue Produkte sollten erzeugt werden, weshalb er ein Haus in der Jakobinenstraße 24 mietete. Im Juni 1945 wurden Universal-Transformatoren erzeugt, die für die meisten Elektrogeräte zu verwenden waren. Bald darauf wurde das Röhrenprüfgerät "Tubatest" und das Fehlersuchgerät "Novatest" - es diente zur Stromspannungsmessung - hergestellt. Der seit seinem 16. Lebensjahr begeisterte Radiobastler Max Grundig gab auch in der Folge seinen langgehegten Wunsch nicht auf, Radios zu bauen, die für jedermann erwerbbar sein sollten, ohne gegen alliierte Bestimmungen und Gesetze der Bewirtschaftung zu verstoßen. Dabei entwickelte er eine geniale Idee: Das Radio sollte ein Spielzeug werden und als solches auch ohne Bezugsschein zu erwerben sein. Das "Spielzeug" sollte als Baukasten konzipiert sein, aus dessen Einzelteilen sogar ein Laie ein Radio zusammenstellen konnte. Nur Röhren durften in dem Baukasten nicht enthalten sein, denn mit diesen wäre der Baukasten ein vollwertiges und damit bezugsscheinpflichtiges Radio geworden und Bezugsscheine waren sehr schwer zu erhalten. Röhren konnte man nur auf dem Schwarzen Markt, für mindestens 100 Mark pro Stück kaufen. Doch wer über ein Radio verfügen wollte, mußte sich Röhren beschaffen. Der Baukasten für das erste Grundig Radiogerät bekam den Namen "Heinzelmann". 1946 wurden 391 Geräte erzeugt, 1947 bereits mehr als 12.000 Stück.

Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und das Verlangen der Bevölkerung nach objektiver Information ließen die Nachfrage nach neuen Produkten immer größer werden, sodaß auch die Produktionsstätte vergrößert werden mußte. Bereits im September 1947 übersiedelten 280 Mitarbeiter von der Jakobinenstraße 24 in die Kurgartenstraße 37, wo sich noch heute die Verwaltung von Grundig befindet. Die Produktion stieg 1948 auf 39.256 "Heinzelmann-Baukästen".

Die Zeit der "Heinzelmänner" verlor allmählich an Bedeutung. Darauf war allerdings Max Grundig vorbereitet und begann bereits im Oktober 1947 mit der Produktion des 4-Röhren-Apparates .Weltklang'' - poliert in Nußholz, in Wechsel- und Allstromausführung. Im März 1948 wurde dieses "Traumradio" auf der Leipziger Frühjahrsmesse erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die "RVF-Elektrotechnische Fabrik" wurde am 7. Juli 1948 in "Grundig RadioWerk GmbH" umbenannt; es beschäftigte 650 Mitarbeiter, deren Zahl 1950 auf 3.000 erhöht werden konnte.

Als im September 1950 der damalige NWDR in Hamburg mit den ersten Fernsehversuchssendungen begonnen hatte, setzte Max Grundig alles auf die TV-Karte: 1952 produzierte er das erste Fernsehgerät, 1953 waren es 7.399 Geräte, 1955 bereits 35.520, um 1960 den Höchststand von 256.214 Geräten zu erreichen. 1968 wurde die Farbfernsehgerätefabrik im Nürnberger Vorort Langwasser gebaut, 1961 folgte die erste Auslandsfabrik in Nordirland. Diese Erfolgsbilanz ließe sich noch lange fortsetzen. Neben neuen Betriebsstandorten in der Bundesrepublik, wurden Niederlassungen in Europa, Asien, Afrika, Australien, in den USA und Lateinamerika gegründet.

Am 1. Mai 1972 wurde die Grundig-Gruppe in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, nachdem bereits 1970 die "Max Grundig Familienstiftung" errichtet worden war; sie sollte die Aktien des Unternehmens und dessen Gewinne und Verluste übernehmen.

In Österreich war die Firma Grundig bis 1969 zunächst nur durch Werksvertretungen, später mit der eigenen Vertriebsgesellschaft "Grundig Austria Ges.m.b.H." vertreten. 1969 übernahm Grundig die angesehene Wiener Firma "Minerva Radio W. Wohleber & Co." in der Zieglergasse 11. Die 1919 gegründete Elektrofabrik, die seit 1954 Schwarzweiß-Fernsehgeräte produzierte, hatte 1969 mit der Herstellung von Farbfernsehgeräten begonnen. Die Witwe Wohleber verkaufte das Werk aus Altersgründen. Fabrikation, Verwaltung und Vertrieb der "Grundig-Minerva Ges.m.b.H." befanden sich in der Zieglergasse 11, wo trotz beengter räumlicher Verhältnisse mehr als 100.000 Fernsehgeräte pro Jahr erzeugt wurden. Da die Kapazität der alten Fabrik bald völlig ausgelastet war, entschloß sich die Grundig Geschäftsleitung zu einer großzügigen und modernen Lösung: Bereits Ende 1976 konnte die Produktion im neuerbauten Werk in Meidling in der Breitenfurter Straße 43-45 fortgesetzt werden. Ende März 1977 übersiedelte auch die Verwaltung dorthin. Seit 1. April 1977 heißt die Firma "Grundig Austria Ges.m.b.H.".

In der alten Fabrik in der Zieglergasse 11 waren 940 Mitarbeiter in der Produktion tätig, im neuen Meidlinger Werk waren es bald 1.800 (davon 350 in Verwaltung und Vertrieb).

Das in einer Bauzeit von 21 Monaten auf einem 33.341 Quadratmeter großen Grundstück errichtete Werk gilt als der größte zusammenhängende Gebäudekomplex des gesamten Grundig-Konzerns. Das Herzstück der Fabrik ist die 11.000 Quadratmeter große Fertigungshalle, in welcher derzeit zirka 1,8 Millionen Fernsehgeräte im Jahr erzeugt werden; sie werden vor allem in die Länder der Europäischen Union exportiert.

Doch "Grundig Austria" stellte nicht nur Fernsehgeräte, sondern z.B. auch Überwachungskameras für U-Bahn, Donaukraftwerke, Bergstationen von Seilbahnen und Bankfilialen her.

Heute sind bei Grundig in Meidling 1.600 Mitarbeiter beschäftigt, davon 1.iOO in der Fertigung, von denen 85% Frauen sind. Gearbeitet wird in zwei Schichten. Täglich werden derzeit 7.300 Fernsehgeräte erzeugt, es könnten jedoch über 9.000 sein. Organisatorisch gliedert sich Grundig Austria in die Geschäftsbereiche Technik, Vertrieb und Verwaltung, deren Aufgaben von je einem Geschäftsführer wahrgenommen werden.

Im vorjährigen Sommer wurde auf einem 28.000 m2 großen Grundstück neben dem Werk mit dem Bau eines "Eurolagers" für das gesamte Farb-TV-Europageschäft von Grundig begonnen. Werk und Lager werden durch einen unterirdischen Gang verbunden sein. Auf dem Areal der ehemaligen Zuckerfabrik in Siegendorf im Burgenland befindet sich das .Kittinggeschäft'' des Grundig-Konzerns:

In einer Halle werden zugelieferte Teile von TV-Geräten, sogenannte "Bausätze", in der vom ausländischen Kunden bestellten Ausführung verpackt und versandt; mit dieser Aufgabe sind zirka 40 Burgenländer beschäftigt.

Durch das Kittinggeschäft ergeben sich Vorteile für den Kunden, die von diesem gerne genützt werden: Er bezahlt bei der Einfuhr der TV-Bestandteile weniger Zoll und fördert heimische Arbeitskräfte, die mit der Fertigstellung der Geräte beschäftigt werden können. Hauptabnehmer sind derzeit Argentinien, Malaysia und Iran.

 

 

Seit 1975 bildet "Grundig Austria" im Auftrag der Konzernleitung in Fürth Lehrlinge zu Radio- und FernsehmechanikerInnen aus. Die von drei hauptamtlichen Ausbildnern mit je zehn Lehrlingen dreieinhalb Jahre dauernde Lehrzeit gilt in Österreich als vorbildlich, denn der Jugend wird hier die Chance zu beruflicher und persönlicher Entfaltung gegeben und für das Unternehmen wird der notwendige qualifizierte Nachwuchs herangebildet. Für die Aus- und Weiterbildung der Lehrlinge wurde unter der Leitung von Herrn Ing. Rudolf Bäumler nach den Plänen des Ausbildnerteams ein eigenes Ausbildungszentrum errichtet, welches auch für Schulungen der übrigen Mitarbeiter verwendet wird.

 

Grundig Wien-Meidling: Arbeiterin beim Einbau des Chassis in das Gehäuse

Lehrling bei der Projektentwicklung eines prozessorgesteuerten Verstärkers

 

Die rasante Technologieentwicklung, die Mikroelektronik und der Konkurrenzdruck aus Fernost in den achtziger Jahren führte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel, welcher Verluste von Arbeitsplätzen mit sich brachte. Zu diesem internationalen Problem äußerte sich auch Max Grundig am 21. Oktober 1982: "Wir müssen uns in einem europäischen Verbund zusammenschließen, gemeinsam produzieren, gemeinsam vermarkten." Und weiters warnte er: "Wenn wir nicht die Vereinigten Staaten von Europa bekommen und zwar wirtschaftlich, dann gehen wir unter als Wirtschaftsmacht, dann beherrschen in einem Jahrzehnt die Japaner die Welt." Auch Grundig war gezwungen, Werke zu schließen und seine Belegschaft auf Konzernbasis zu reduzieren.

1984 zog sich der 76jährige Firmenchef zurück und der niederländische Konzern "Philips" erwarb die Unternehmensführung.

Max Grundig, der immer in patriarchalischer Weise in die Geschäftsführung des Unternehmens eingegriffen hatte, starb am 8. Dezember 1989 im Alter von 81 Jahren. Vor 50 Jahren begann nach Kriegsende die Geschichte der Grundig Produkte im geteilten Deutschland. Während auch heute noch alle Projekte von einem Expertenteam am Standort Fürth ausgearbeitet werden, hatte sich das "Meidlinger Werk" zur größten und modernsten Produktionsstätte für TV-Geräte entwickelt.