Mein Anfang bei Minerva - Radio

Mein erster Arbeitstag war der 23 Jänner 1961. Vorangegangen ist ein ein Aufnahmegespräch mit dem Betriebsleiter Herrn Lemmerhofer und dem Leiter des Kundendienstes, Herrn Maximilian Höflinger.

Er - "Maxi" - war es, welcher die Richtung meiner Laufbahn wesentlich beeinflusste, wofür ich ihm heute, 60 Jahre später, noch immer dankbar bin.

 

Ich begann in der Radiowerkstätte der Serviceabteilung als Hilfsarbeiter. Das war bei Minerva generell so üblich. Mein Stundenlohn war sechs Schilling. Ich war noch Jugendlicher und 17 Jahre alt.

Meine Aufgabe zu Beginn war es, die Radioapparate, welche zur Reparatur eingeliefert wurden, aus dem Gehäuse zu nehmen und ordentlich im Freien vom Staub zu säubern. Es war Winter und sehr kalt und oft sehr windig. Was den Vorteil hatte, dass meine Atemwege vom antiken Staub - im Inneren der Geräte - weitestgehend verschont wurden. Es handelte sich durchwegs um alte Röhrengeräte, wo das "Ausstauben", noch zu den wesentlichen Aufgaben des Technikers gehörte.

 

Nach zwei Wochen durfte ich bereits als defekt erkannte Bauteile erneuern. Das Reinigen der Kontaktschieber, welche zum elektrischen Umschalten der verschiedenen Wellenbereiche dienten, war bereits eine zeitaufwendige und ebenso anspruchsvolle Tätigkeit. Allzu lange dauerte diese mir auferlegte Bewährungsprobe glücklicherweise nicht. Der Techniker welcher für die Reparatur der Transistor Radio bestimmt war kündigte und ich musste (durfte) einspringen. Alles was mit Transistoren zu tun hatte war damals für die viele Techniker absolutes Neuland. Ich hatte mir zu diesen Zeitpunkt schon einen, mit Transistoren bestückten Vollsuper, nach der Anleitung vom "Radiopraktiker", nebst vielen anderen elektronischen Geräten aus der selben Quelle, selbst gebaut. Diese meine Erfahrung hat mir sehr zu einem guten Anfang bei Minerva verholfen.

 

Wie hat damals - ab 1961 - ein Arbeitstag von mir ausgesehen. Mein Wohnsitz war bei meinen Eltern in Buchbach, im Ortskern von Liesling gelegen. Schule, Kirche, Post und Bahnhof waren in Pottschach. Mein Anfahrtsweg in die Firma in Wien 7 in der Zieglergasse war also täglich von Buchbach nach Wien 7 Zieglergasse.

Tagwache

Ankunft zu Hause nach Arbeitstag

Im Sommer

Im Winter

Im Sommer

Im Winter

4 Uhr 30

4 Uhr 15

21 Uhr

21 Uhr 15

Zugabfahrt Bahnhof Pottschach:  5 Uhr 37

Abfahrt Wien Südahnhof: 18 Uhr 32

Ankunft Pottschach:  20 Uhr 13

Im Bahnhof Wien Meidling morgens angekommen musste ich den Weg in die Zieglergasse zu Fuß zurücklegen. Das Geld für die Straßenbahn reichte bei meinem Einkommen nicht. Einen erheblichen Teil davon benötigte ich für die Bahnkarte. Manches mal, leider mitunter auch häufiger, wenn der Zug Verspätung hatte, hatte auch ich Verspätung. Es waren jeweils nur eine oder wenige Minuten, aber das war nicht tolerierbar. Ein strenger Betriebsrat achtete sehr gewissenhaft darauf, dass sich niemand gegenüber Anderen, Vorteile durch Privilegien herausnahm. Eine Minute später kommen zu dürfen, wäre eine solche Bevorzugung gewesen. Meine spezielle Situation interessierte niemanden. Mit dem Zug früher konnte ich nicht immer fahren, da blieb mir zu wenig Zeit zum Schlafen. Bin ich mit der Straßenbahn gefahren, konnte ich mir unter Tags nichts zum Essen kaufen. Ich erinnere mich sehr gut an eine Episode. Um den Hunger zu verdrängen habe ich während der Mittagspause durchgearbeitet. Ein an Jahren schon sehr reifer Kollege ist voll Wut auf mich los gegangen. Du Idiot, wir haben uns für euch erschießen lassen, damit ihr das Recht auf eine Mittagsruhe habt und was macht ihr? Ihr arbeitet durch! Ich habe mich sehr geschämt, mich entschuldigt und den Hunger genossen.

Um 17 Uhr 12 Minuten war meine Arbeitszeit regulär zu Ende. Den Weg zum Südbahnhof musste ich ebenfalls per pedes zurücklegen. Die einzig mögliche Zugverbindung für mich hatte in Meiding keinen Halt.

Musste ich meine Arbeitszeit verlängern, was mitunter im kollektiven Interesse war, erreichte ich "meinen" Zug natürlich nicht mehr und musste den späteren nehmen. Nach einem langen und oft auch sehr arbeitsreichen Tag ist es dann mitunter passiert, dass ich in Pottschach verschlafen habe und erst in Schlöglmühl aufgewacht bin. Mein Bahnkarte war jedoch nur bis Pottschach gültig. Manchmal war der Schaffner großzügig und schenkte mir den Aufpreis. In Schlöglmühl musste ich aber den Zug verlassen. Um Mitternacht. Im Winter in eisiger Kälte. Hier war nichts - absolut nur das Nichts, also macht ich mich zu Fuß auf den Heimweg. Nicht nach Hause! Ich ging zum Bahnhof Pottschach und erreichte pünktlich den Morgenzug nach Wien Meidling. Gerne machte ich keine Überstunden, aber niemand fragte danach.

 

Heute ist oft von den "Goldenen Zeiten Damals" die Rede und dennoch, es sind meine schönen Erinnerungen und ich war immer zufrieden und meist auch glücklich.

Mein Arbeitstag in diesen Jahren war trotz dieser, für mich unvermeidbaren zusätzlichen Belastungen, immer erfüllt und wirklich zufriedenstellend.

 

Ich war noch 17 Jahre alt und auf Grund meiner fachlichen Vorkenntnisse bald für die technische Abwicklung aller Aufgaben in der Transistorradiowerkstätte verantwortlich. Dazu gehörte auch die individuelle   Kundenbetreuung. Ebenfalls zu meiner Verantwortung gehörte die Einschätzung und Erweiterung der fachlichen Qualifikation meiner Kollegen in der Radiowerkstatt. Es ist schon vorgekommen dass Kunden ihre Verwunderung zum Ausdruck brachten dass sie von einem so jungen Burschen wie ich es war betreut wurden, aber Probleme gab es deshalb selten. Einzige Ausnahmen waren hin und wieder dann, wenn sich Radiotechnikermeister mit langer Berufserfahrung bei Röhrengeräten, von mir technische Auskünfte holen mussten.

 

All die Jahre welche ich in der Serviceabteilung von Minerva Radio arbeiten durfte waren sehr schöne und sehr lehrreiche Jahre für mich. Die Technik blieb nicht stehen und die Transistorisierung der Geräte machte Fortschritte. Auch in der Entwicklung und damit auch in der Produktion bei Minerva. Ich hatte bereits Erfahrung bei der Reparatur von transistorbestückten Fernsehgeräten. Minerva-Italien brachte den "Poker" ein volltransistorisiertes SW-TV-Gerät auf den Markt und damit eine zusätzlich Aufgabe für mich im Kundendienst. Hier holte ich mir die Erfahrung welche bei den Fernsehgeräten der neuen Produktionsserien von Minerva-Wien erforderlich war. Diese waren teilweise Transistorbestückt und wurden für die Techniker in der Fertigung zu einem echten Problem.

Der Entwickler dieses Gerätes war ein guter Freund aus der gemeinsamen Zeit im Kundendienst. Ernst Aigner. Seine Entwicklung wurde von der Fertigung als nicht ausgereift und als noch nicht produktionsfähig erklärt. Die Zeit wo ein Gerät durch den Tausch von Röhren repariert werden konnte war endgültig vorbei. Jetzt musste gemessen und verstanden werden. Das war neu und auch das Problem. Die neuen nicht funktionierenden Geräte der Produktion stapelten sich im Laufe von Monaten bis zur Decke, ein Durchgang durch die Fertigungshalle war nur mehr erschwert möglich. Der Entwickler wusste Abhilfe. Er forderte mich zur Aushilfe, zumindest für eine begrenzte Zeit, aus dem Kundendienst in die Produktion an. Nach etwa drei Wochen hat sich das Gerät dann doch als ausgereift entwickelt herausgestellt und die Hallen waren wieder voll benützbar. Ich wurde vom Kundendienst in die Fertigung als Reparateur versetzt. Sehr erfreut war ich darüber nicht, aber ich hatte Verständnis. Heute sehe ich aber gerade in diesem Umstand eine für mich sehr positive Wende.

 

Die Tatsache dass ich schon im Kundendienst immer wieder Händler und Techniker aus dem Gewerbe und auch Lehrer aus dem technischen Berufsbildenden Schulwesen zur Einschulung bei mir hatte, qualifizierte mich dazu, dass mich der technische Direktor Herr Richard Beutelhauser als geeignet erkannte, mir die Verantwortung zur Ausbildung der Techniker zu übertragen.

 

Die Zeit von Minerva war jetzt endgültig vorbei. Max Grundig ist rechtzeitig aktiv geworden und hat das traditionsreiche Unternehmen Minerva gekauft und uns damit einen für viele Jahre sicheren Arbeitsplatz geboten. Der Bestand der "Familie Minerva" (wir waren ein Unternehmen und eine Familie) war gerettet und diese konnte sich zu einem der bedeutendsten Unternehmen im Bereich der Unterhaltungselektronik weltweit entwickeln.